Zwei politische Themen haben mich in dieser Woche beschäftigt: Erstens Finanzministerin Keller-Sutter, die mit ihren Kolleg*innen im Bundesrat sämtliche Gelder für Präventionskampagnen gegen Gewalt gestrichen hat und zweitens der Parlamentarische Vorstoss, der verlangt, dass geschlechtsanpassende Operationen im Kanton Bern nur gestattet werden, wenn die betroffene Person volljährig ist.
Am Montag startet der Grosse Rat in die Wintersession. Auf dem Programm steht u.a. die Motion 160‑2023 «Das Vorsorgeprinzip anwenden und den Zugang zu irreversiblen Eingriffen zur Geschlechtsumwandlung nur Personen vorbehalten, die nach schweizerischem Zivilgesetzbuch volljährig sind». Wie schlecht sich die Motionär*innen in das Thema eingelesen haben, zeigt auf den ersten Blick bereits im Titel das Wort «Geschlechtsumwandlung», geht es doch dabei nicht an eine «Umwandlung» sondern um eine «Anpassung» an das gefühlte Geschlecht.
Die Motion, über die nun eben in der Wintersession der Grosse Rat debattieren muss, ist in zwei Punkte aufgeteilt, die nicht in den gleichen (ablehnenden) Topf geworfen werden dürfen.
Punkt 2 der Motion verlangt, die «Begleitung von Jugendlichen, die mit Fragen der Geschlechtsidentität zu kämpfen haben, zu stärken». Eine Zustimmung hier durch den Grossen Rat ist wichtig, da dadurch allenfalls Gelder für die Verbesserung der schlechten Versorgung von trans Personen im Kanton Bern gesprochen werden können.
Unbedingt abgelehnt werden muss aber der Punkt 1 der Motion, der eben ein Verbot von irreversiblen Behandlungen für Minderjährige verlangt. Eigentlich lässt das Bundesrecht ein solches kantonales Verbot gar nicht zu. Zudem sind die medizinische Diagnosestellung und Behandlung mit einer medizinischen Expertise im Einzelfall vorzunehmen und sollte kein politischer Entscheid sein.
Ja, Minderjährige können trans sein, können sich ihrer Geschlechtsidentität sicher sein! Fachpersonen bestätigen, dass die Geschlechtsidentität jeder Person bereits im Kindesalter besteht und viele trans Jugendliche zeigen sich in ihrer Geschlechtsidentität gefestigt, weil sie sich seit Jahren damit befassen. Das Bewusstsein für die eigene sexuelle Orientierung hingegen bildet sich meist erst in der Pubertät, im Alter von 13 bis 16 Jahren, also später als die Geschlechtsidentität.
Und wie ist das nun mit den Operationen eigentlich rechtlich bereits geregelt? Grundsätzlich braucht jede geplante medizinische Behandlung eine Einwilligung. Das ZGB regelt, dass urteilsfähige Personen selbst entscheiden und urteilsunfähige durch die gesetzliche Vertretung vertreten werden. Urteilsfähigkeit bedeutet, dass die Person sich über die jeweilige Behandlung informieren, ihren eigenen Willen bilden und diesen ausdrücken kann. Jugendliche, die Risiken und Nutzen einer Behandlung (noch) nicht verstehen, können nicht darüber entscheiden. Ist nicht klar, ob eine jugendliche Person urteilsfähig ist in Bezug auf die fragliche Behandlung, wird die Urteilsfähigkeit durch die Psychiatrie abgeklärt.
Finanzministerin Keller-Sutter streicht den Präventionskampagnen sämtliche Gelder
430’000 Vergewaltigungsopfer zählt die Schweiz (darunter leider auch viele queere Menschen). Alle drei Wochen gibt es einen Feminizid und jeden Tag werden über 50 Fälle von häuslicher Gewalt registriert. Die Dunkelziffer ist weitaus höher. Die Schweiz muss dringend handeln. Deshalb haben National- und Ständerat 2022 mit grosser Mehrheit den Vorstoss von SP-Nationalrätin Tamara Funiciello für regelmässige, schweizweite Präventionskampagnen gegen häusliche, sexualisierte und geschlechtsbezogene Gewalt angenommen. Dieses wichtige Projekt steht nun vor dem Aus, bevor es begonnen hat. Wie sich der Kommunikation des Bundesrates entnehmen lässt, hat Karin Keller-Sutter, Bundesrätin und Vorsteherin des Finanzdepartements, den Präventionskampagnen gegen Gewalt sämtliche Gelder gestrichen.
Um dagegen zu protestieren haben 172 Organisationen, Fachstellen und Gruppen einen offenen Brief von BRAVA (ehemals TERRE DES FEMMES Schweiz) mitunterzeichnet – darunter auch verschiedenste queere Gruppen (u.a. auch queerAlternBern).
Die Unterzeichner*innen heben in ihrem offenen Brief an Bundesrätin Keller-Suter und den Gesamtbundesrat hervor, dass der Bund für wirksame Kampagnen mindestens drei Millionen Franken pro Jahr benötigen und erklären: «Wenn wir bedenken, dass häusliche, sexualisierte und geschlechtsbezogene Gewalt in der Schweiz alltäglich ist, jedes Jahr viele Tausende Menschen Opfer werden und Millionen von Franken an Kosten mit sich bringt, sind drei Millionen Franken ein zahlenmässig kleiner Beitrag zu Sicherheit für die Menschen in der Schweiz».
Weiter unterstreichen die Unterzeichner*innen, dass der Bundesrat als Gesamtgremium die Verantwortung für die Massnahmen gegen Gewalt und deren Finanzierung mitträgt und fordert deshalb dringendst, diesen Entscheid zu korrigieren: «Zugunsten aller Gewaltbetroffenen und ihrem Umfeld. Zugunsten der Schweizer Gesellschaft. Denn: Wirkungsvolle Präventionskampagnen gegen Gewalt retten Leben und verhindern Leid.»
Noch kann das Parlament den Entscheid für diesen Kahlschlag bei der Gewaltprävention korrigieren. Dazu braucht es den Druck aus der Bevölkerung. Unterzeichne deshalb hier die Petition der SP.