Sonntagskolumne: Wenn ein Kollege gegen einen anderen Kollegen ermittelt

Die Universität Zürich präsentierte am vergangenen Dienstag die Resultate einer als «Meilenstein» gefeierten Pilotstudie, die erstmals klare Zahlen zu Fällen sexuellen Missbrauchs in der römisch-katholischen Kirche liefert – und ein erschreckendes System aufzeigt: Hunderte Kirchenmänner – bis auf wenige Ausnahmen waren es ausschliesslich Männer – vergingen sich sexuell an Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Und das sei wohl lediglich «die Spitze des Eisbergs», wie eine der beiden Leiterinnen der Uni Zürich erklärte.

Drei Viertel der Opfer dieser Missbräuche waren minderjährig. Über die Hälfte der Opfer sind zudem männlich. Und mir kommt unweigerlich das Buch «Sodom» von Frédéric Martel in den Sinn. Mein Fazit aus dem Buch:

  • Priester werden nicht schwul. Junge Schwule werden Priester. Priester sein ist/war gesellschaftlich anerkannt, schwul zu sein nicht.
  • Die römisch-katholische Kirche hat heute einen Priestermangel, weil Schwulsein meist keine gesellschaftliche Ächtung mehr bedeutet. Es gibt für Schwule keinen Grund mehr, in die Kirche zu flüchten.

Daraus lässt sich folgern, dass mein Fazit aus dem langfädigen Buch «Sodom» ein klares Licht auf die römisch-katholische Soziopathie wirft und unserer queeren (schwulen) Emanzipation ein gutes Zeugnis ausstellt – da diese das Schwulsein aus dem gesellschaftlichen und dunklen Keller geholt hat. Übrigens unterscheiden sich Soziopathen von Psychopathen u.a. dadurch, dass Soziopathen grundsätzlich zu Empathie fähig sind, sich aber dennoch antisozial verhalten.

Kein «schwules» Problem

Selbstverständlich sind die Missbrauchsfälle innerhalb der römisch-katholischen Kirche kein «schwules» Problem. Sexueller Missbrauch ist in jedem Fall verwerflich und verbrecherisch und muss/sollte strafrechtlich verfolgt werden. Entsprechend wird im 136-seitigen Bericht der Uni Zürich nur gerade viermal der Begriff «Homosexualität» erwähnt. So ist etwa zu lesen, dass, – obwohl Homosexualität im ausgehenden 20. Jahrhundert nicht mehr strikt verfolgt wurde – Vertreter*innen der katholischen Kirche «nach wie vor eine homophobe Kultur, in welcher die Ablehnung homosexueller Neigungen und gleichgeschlechtlicher Beziehungen einen wichtigen Platz einnahm», vermittelten. Tatsächlich würden verschiedene Studien auf einen «deutlich höheren Anteil an homosexuellen Männern im katholischen Kontext» hinweisen. «Trotz der Ächtung der Homosexualität zogen also kirchliche Institutionen zahlreiche Personen an, deren Lebensweise sie eigentlich verurteilten – die Kirche bot einen Zufluchtsort vor der Gewalt, die sie selbst zu verbreiten half.»

Nur am Rande angesprochen wird im Bericht zudem die Frage, ob die römisch-katholischen «Spezifikationen» – etwa die Sexualmoral, der Zölibat, die Geschlechterverhältnisse und das Spannungsfeld zwischen Kirche und Homosexualität – sexuellen Missbrauch «allenfalls begünstigt» hat und die «Dynamiken des Verschweigens und Verleugnens stillschweigend akzeptiert und teilweise unterstützt» hat.

Rechtsprechung

Der Bericht stellt zudem klar fest, dass in der Vergangenheit zahlreiche Akten vernichtet wurden, die Hinweise auf sexuellen Missbrauch enthielten. Dies ist natürlich nicht nur für die Aufarbeitung der sexuellen Missbräuche in der römisch-katholischen Kirche verheerend, sondern auch für die Betroffenen, die so keine Möglichkeit mehr haben, ihre Dokumente einzusehen. Dabei wurde allzu oft das «kanonische Recht» bemüht, um «unbequeme Kapitel der Vergangenheit aus der Welt zu schaffen und sich einer Auseinandersetzung mit gravierendem Fehlverhalten und Verantwortlichkeiten zu entziehen». Kirchenrecht – oder eben kanonisches Recht – ist gemäss Wikipedia das «selbst gesetzte Recht einer Kirche».

Ich versuche all die gefundenen Informationen zum Kirchenrecht zu verstehen. Zusammengefasst hat also die römisch-katholische Kirche ihr eigenes Recht, ist nach ihrem eigenen Rechtssystem aufgebaut. Damit allerdings eine Kirche staatlich anerkannt wird, muss sie offenbar bestimmte Voraussetzungen erfüllen – z.B. eine demokratische Organisationsform (Kirchgemeinden, kantonalkirchliche Organisationen). Und: Offenbar gibt es keine übergeordnete Entscheidungsinstanz.

Während dem Suchen nach Informationen wie das nun eigentlich mit der Rechtsprechung innerhalb von Kirchen funktioniert, habe ich das Wort «Laizismus» entdeckt, also notabene nichts anderes als die klare Trennung des gesamten öffentlichen Lebens (Staat, Gesellschaft, Recht, Kultur) von Kirche und Religion – wie bereits in Frankreich seit 1905 mit einem konsequenten Trennungsgesetz umgesetzt.

Kirchengesetz im Kanton Bern

Im «Blick» lese ich, dass der Kanton Bern offenbar jährlich 12 Millionen Franken an die römisch-katholische Kirche zahlt. Und eigentlich ist es logisch: Wo Steuergelder fliessen, sollte der Staat kontrollieren. Das findet auch Tobias Vögeli, GLP-Grossrat im Kanton Bern, der – gemäss «Blick» – nun per Vorstoss fordert, dass diese Zahlungen gestoppt werden – solange, bis die Kirche ein Konzept vorlegt, wie die Übergriffe «umfassend und transparent» aufgearbeitet und künftig verhindert werden. Das bisherige Konzept der römisch-katholischen Kirche, dass «ein Kollege gegen einen anderen Kollegen ermittelt» sei sicher nicht «unabhängig».

Aus der Kasse des Kantons Bern werden auch die Löhne der Pfarrpersonen und Angestellten der römisch-katholischen Kirche bezahlt – also auch Menschen, die sich nichts zuschulden haben kommen lassen. Eine Kollektivstrafe sei das dennoch nicht, findet Tobias Vögeli im «Blick»: «Ich setze niemanden unter Generalverdacht, doch es geht um das systematische Vertuschen im Hintergrund». Zudem kann die Kirche die Löhne problemlos bezahlen, schliesslich bekomme sie ja «weiterhin die Kirchensteuer».

«Nun stellt sich die Frage, was die griffigen Massnahmen sind, dass in Zukunft in den Landeskirchen solche Ungeheuerlichkeiten, Vertuschen, Aktenvernichtung und Totschweigen nicht mehr passieren.»

Aus dem Vorstoss im Grossen Rat des Kantons Bern von Tobias Vögeli

Der Vorstoss von Tobias Vögeli und weiteren Unterzeichnenden im Grossen Rat des Kantons Bern trägt den Titel «Griffige Massnahmen gegen Missbrauchsvorfälle in der römisch-katholischen Kirche», der vor allem eine Anpassung des Kirchengesetzes fordert. So soll zukünftig bei der Anstellung von Geistlichen eine von der Kirchgemeinde unabhängige Leumundsprüfung stattfinden (analog bei der Anstellung von Lehrpersonen). Zudem soll die Universität Bern zukünftig in der Ausbildung die Sensibilisierung zum Thema Missbrauch integrieren. Und eine der wichtigeren Forderungen ist, dass die Aufklärung der Missbrauchsvorfälle unabhängig von den einzelnen Kirchgemeinden sicherzustellen ist.

Der Kanton Bern, davon ist Tobias Vögeli in seinem Vorstoss überzeugt, mit seinem Kirchengesetz über den notwendigen Handlungsspielraum verfüge, um Missstände innerhalb der Landeskirchen behoben werden können. Zitat aus dem Vorstoss: «Er (der Kanton Bern) trägt insofern die Verantwortung und soll entsprechend Massnahmen sicherstellen, dass eine staatliche Instanz den Prozess der Anstellung, Ausbildung und der Aufbereitung und Behebung von Missständen begleitet».

« … dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen … »

Aus der Bundeverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft

Wohl sicher ist: Die römisch-katholische Kirche wird weiter in die Bedeutungslosigkeit versinken. Die abscheulichen Missbräuche werden dies sicher noch beschleunigen.

Und eigentlich wäre nur ehrlich, den Passus «Im Namen Gottes des Allmächtigen» endlich aus unserer Bundesverfassung zu streichen – im Rahmen des diesjährigen 175. Jubiläums sowieso. Vielmehr sollten wir uns hier in der Schweiz doch daran messen, dass sich eben die «Stärke des Volkes am Wohl des Schwachen» misst.

Diskussion

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.