Sonntagskolumne: «Auffallend gründliche Überwachung» durch die Polizei?

Vor einer Woche hat die BernPride stattgefunden. Was für ein wunderbares Bild, wie sich der Umzug durch die alten, ehrwürdigen und mit Regenbogenfahnen geschmückten Gassen schlängelte. Schier endlos schien die bunte Parade. Angeführt wurde die Kundgebung von der Polizei – u.a. auch mit einem Kamerawagen. Überwachte die Polizei die queere Demonstration «auffallend gründlich», wie die Berner Zeitung am letzten Montag schrieb?

Und auch der Berner Grossrat Manuel C. Widmer stellte auf Social Media fest: «Die BernPride war medial super begleitet. Alle wurden von PoliceBern gefilmt. Darf man fragen, wozu diese massive Präventiv-Filmerei?».

Auch mir ist die Polizeipräsenz und vor allem auch der Kamerawagen aufgefallen. Allerdings hatte ich noch die vielen Hasskommentare in den sozialen Medien gegen die in der ganzen Stadt Bern aufgehängten Regenbogenfahnen im Kopf. (Als Beispiel: «Hat ziemliche Nazi-Vibes, muss man schon sagen. Die standen auch drauf, die Strassen mit Fahnen ihrer Ideologie zu schmücken.»). So war mein erster Gedanken: Die Polizei macht dies zu unserem Schutz und die Filmaufnahmen werden präventiv gemacht. Entsprechend wurde dann auch in der Berner Zeitung die Polizeisprecherin Magdalena Rast zitiert: «Aufgrund von Erfahrungen aus dem Ausland und der sensiblen Thematik ist eine mögliche Gefahr aus dem Publikum nicht auszuschliessen gewesen». Zudem habe die Polizei in Absprache mit den Veranstalter*innen gefilmt.

Nur: Ein paar Fragen betreffend Rechtsstaat sollten sich die Polizei schon gefallen lassen. Welche Rechtsgrundlage gibt es, die diese Filmerei rechtfertigt? Wann werden diese Daten gelöscht? Wurde automatisiert ausgewertet oder das Filmmaterial bloss gespeichert? Und vor allem auch: Wo kann ich wie abklären, ob ich von der Datensammlung betroffen bin?

Dazu kommt noch, dass präventives Filmen ohne konkrete Anhaltspunkte für mögliche Straftaten laut dem kantonalen Datenschutzbeauftragten Ueli Burri nicht erlaubt ist. Zitat aus der Berner Zeitung: «Das Filmen mag vor Straftaten abschrecken, schränkt aber die Menschen beim Ausüben ihrer Grundrechte ein».

Manuel C. Widmer war jahrelang Mitglied der Aufsichtskommission der Stadt Bern und aktuell Mitglied der Geschäftsprüfungskommission des Kantons Bern. Und er schreibt, dass er in dieser Funktion genug Fälle erlebt habe, «in denen der Staat rechtlich über die Stränge geschlagen hat». Die Fälle in jenen die Kantonspolizei Bern «in den letzten Jahren von Gerichten zurückgepfiffen wurden, weil sie ausserhalb des gelten Rechts Daten (etwa DNS-Proben) gesammelt hat, sind zahlreich».

Selbstverständlich gehört es auch zu den Aufgaben von Parlamentarier*innen, der Exekutive (Gemeinderat, Polizei) auf die Finger zu schauen und entsprechend Kritik zu äussern und zu hinterfragen. Deshalb bin ich froh, dass Grossrat Widmer die Filmerei während der BernPride hinterfragt. Denn gerade wir queeren Menschen sollten kritisch mit der Sammlung von Daten über uns Bürger*innen umgehen – das lehrt uns nämlich unsere Geschichte.

Was uns die Geschichte lehrt

Es war im Sommer 1979: In Bern fand der erste «Nationale Schwulenbefreiungstag» statt. Gefordert wurde damals, dass die von der Polizei geführten «Homoregister» abgeschafft werden. Ein Jahr später erklärte der Polizeidirektor der Stadt Bern, dass die Registereintragungen entfernt wurden. Niemand erwähnte damals allerdings, dass die Berner Kantonspolizei die «Schwulenkartei» weiterführte.

Dabei war der Berner Kantonspolizei offenbar klar, dass dieses Vorgehen kaum legal ist. So ist in einem Dokument vom 16. Juni 1977 an das Polizeikorps zu lesen: «Da in den meisten Fällen keine strafbaren Handlungen vorliegen, müssen die Erhebungen diskret erfolgen». Diese Erhebungen wurden durch die Polizei an einschlägigen Treffpunkten vorgenommen. Die Beamten befragten die Aufgegriffenen, nahmen deren Personalien und Lebensumstände auf und trugen sie in vorgedruckte Meldekarten ein.

Meldekarte: HS war damals die gängige Abkürzung für «homosexuell».

Am 26. April 1990 flog die peinlich genaue Registrierung von meist willkürlich aufgegriffenen und nach Gesetz unschuldigen Bürgern mit einem Bericht in der Berner Zeitung auf. Der Skandal war perfekt. Fast genau zehn Jahre nach der polizeilichen Erklärung, die Registrierung werde abgebrochen und die Einträge gelöscht, kam durch eine Indiskretion an die Öffentlichkeit, dass die Kantonspolizei weiterhin fleissig Daten sammelte und feinsäuberlich auf Karteikarten notierte.

Die Homosexuellen Arbeitsgruppen Bern (heute hab queer bern), der damalige Verein Ursus Club und die damalige Schweizerische Organisation der Homophilen schlossen sich zusammen und wandten sich an die Öffentlichkeit. Mensch fühlte sich im Recht und wehrte sich. Dennoch konnten nur nach mühsamen Verzögerungen einige der klaren Forderungen durchgesetzt werden. Eine Entschuldigung oder eine automatisch angebotene volle Einsicht der Betroffenen in ihre Meldekarten erfolgte nicht.

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