Sonntagskolumne: Bern in bunt

Gestern Samstag feierten wir queeren Menschen mit einem Demonstrationsumzug die Vielfalt, die Liebe, die Gleichstellung. Schätzungsweise 8000 bis 10000 Personen zogen durch die mit Regenbogenfahnen geschmückten alten und ehrwürdigen Gassen der Berner Altstadt. «Wir haben praktisch keine Kritik mitbekommen», sagte gestern Abend auf TeleBärn Nik Eugster, der Medienchef der Eurogames/BernPride. Trotzdem sorgten die vielen Regenbogenfahnen für rote Köpfe.

Die Pride gestern war der krönende Abschluss der Eurogames 2023. Und es ist kein Geheimnis: Sport interessiert mich kein bisschen! Ich gucke weder Sport im TV, noch lese ich Sportnachrichten in den Zeitungen. Ich werde erst hellhörig, wenn Sportler*innen sich als queer outen oder nicht in der Kategorie um Medaillen kämpfen dürfen, wo sie sich selber einordnen.

So nahm ich zur Kenntnis, dass eben Ende Juli die EuroGames in Bern stattfinden sollen – nicht mehr und nicht weniger. Ich freute mich aber riesig, als ich am vergangenen Montagmorgen auf dem Weg zur Arbeit feststellte, dass die Stadt Bern von «oben» in der Spitalgasse bis «unten» in der Gerechtigkeitsgasse mit Regenbogenfahnen beflaggt war. Was für ein schönes Zeichen – und mir wurde warm ums Herz.

2314 queere Athlet*innen kämpften in 20 Disziplinen die letzten vier Tage hier in Bern um einen Platz auf dem Podest. Und bei verschiedensten Sportdisziplinen gab es nebst den zwei «üblichen» Kategorien «männlich» und «weiblich» auch eine dritte Kategorie für nichtbinäre Personen. Das Ziel der EuroGames war dann doch etwas politisch, ging es doch auch darum, queere Menschen im Sport sichtbarer zu machen. Und so stand beispielsweise Schwinger Curdin Orlik am vergangenen Mittwochabend beim hochoffiziellen Apéro für geladene Gäste im EuroGames-Village auf der Münsterplattform ganz in meiner Nähe – und ich liess mich von der sportlich-friedlichen Stimmung mitreissen.

Noch während wir auf der «Pläfe» – wie wir Berner*innen liebevoll die Münsterplattform nennen – süffigen Prosecco tranken und leckere Häppchen genossen, erreichte mich eine knappe Medienmitteilung. Überschrift: «Junge Grünliberale prüfen Strafanzeige gegen die JSVP». Auf «X» (vormals Twitter) und auf Instagram behauptete die JSVP Schweiz, dass wegen queeren Menschen sich nicht nur «die Psychiatrien füllen», sondern queere Menschen auch den «Wohlstand» gefährden. Die Regenbogenfahnen würden «einen Blick in den Abgrund und in eine dekadente Zukunft» zeigen. Tobias Vögeli, der Präsident der Jungen Grünliberalen, bezeichnet die Aussagen der JSVP in der Medienmitteilung richtigerweise nicht nur als falsch, sondern auch «ziemlich dumm».

Am letzten Montag postete die Stadt Bern hocherfreut Bilder der mit Regenbogenfahnen geschmückten Stadt und schrieb dazu: «Bern macht sich bunt für die EuroGames». Bereits kurze Zeit später musste die Kommentarfunktion aufgrund von «diversen Verstössen gegen die Netiquette» allerdings geschlossen werden. Die Regenbogenfahnen hätten «ziemliche Nazi-Vibes», da die Nazis auch darauf standen, «die Strassen mit Fahnen ihrer Ideologie zu schmücken», ist nur ein Beispiel der vielen Hasspostings.

Ebenfalls für einen «roten Kopf» sorgten die zahlreichen bunten Fahnen bei einem mir «einschlägig» bekannten Schwulen. Dieser schreibt auf «X»: «Ich zähle mich zu jenen schwulen Männern, die das in diesem Ausmass sehr befremdlich finden.» Und in einem Kommentar auf seinen Tweet schreibt er: «Ich bin früher auch für gleiche Rechte an die Pride, aber sicher nicht, dass jetzt Männer Misswahlen gewinnen.» Ich gebe es zu, ich gucke mir äusserst selten Misswahlen an. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass da jetzt Männer zugelassen sind – zugelassen sind aber hoffentlich nicht nur cis Frauen, sondern auch trans Frauen. Natürlich hat der mir «einschlägig» bekannte Schwule selbstverständlich nichts gegen trans Frauen – doch ist er überzeugt und schreibt dies auch in einem weiteren Kommentar zu seinem Tweet, dass trans Frauen auch nach «mehrfachen Updates keine Frauen» sind … Da ist wer nicht mehr ganz auf dem neusten Wissenstand, denn trans Frauen sind Frauen!

WIR SOLLTEN POPULISMUS NICHT MIT STILLSCHWEIGEN BEKÄMPFEN!

Facts: Die EuroGames wurden von der Stadt Bern mit einem Beitrag von 40’000 Franken und einer Gebührenbefreiung in Höhe von rund 345’000 Franken unterstützt. Und die Regenbogenfahnen wurden aus diesem Topf finanziert. Zudem hat nach Auskunft von SP-Stadtrat Szabolcs Mihalyi haben im Stadtrat auch die Stadträte der SVP – darunter auch ein Ehrenmitglied der JSVP – den insgesamt 385’000 zugestimmt.

Warum aber habe ich mich eigentlich nicht einfach über die friedliche Stadt und die bunte Pracht der Regenbogenfahnen gefreut? Ganz einfach: Mein Engagement für die queere Community seit meinem Coming-out vor über 30 Jahren hat in mir einen Kampfmodus (keine Angst, ich werfe nur mit rosafarbigen Wattebäuschchen) geweckt – was wir in den letzten Jahren erreicht haben, lasse ich mir nicht mehr wegnehmen. Wir wollen uns nicht wieder still und allein in unseren Schränken verstecken.

«In the Closet» (also «im Schrank») bedeutet, dass eine Person ihre sexuelle Orientierung oder ihre Geschlechtsidentität vor anderen geheim hält.

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