Sonntagskolumne: Der «Werte-Sommer» der EDU Schweiz

Rechtzeitig zum «Pride Month» lancierte die EDU Schweiz den «Werte-Sommer» – als klarer Gegenentwurf zur «teilweise immer penetranter zu Tage tretenden LGBT-Propaganda». Dabei beruft sich die Partei auf «christliche Werte» – wie etwa Nächstenliebe, Ehe und Familie – um uns queeren Menschen aber gleichzeitig die «Umgestaltung der abendländischen Gesellschaftsordnung» vorzuwerfen.

Das «Werte-Manifest» der EDU Schweiz umfasst acht Punkte. Da wird u.a. behauptet, dass es nur zwei Geschlechter gebe, das Geschlecht eines Menschen kein «Konstrukt» sei, von biologischen Faktoren abhänge und nicht «willkürlich gewechselt» werden könne.

Das ist falsch!

Die Geschlechtsidentität ist das innere Wissen einer Person, welches Geschlecht sie hat. Diese Selbstwahrnehmung kann sich sowohl von den biologischen Geschlechtsmerkmalen unterscheiden als auch von der gesellschaftlichen Wahrnehmung.

Als biologische Geschlechtsmerkmale gelten die genetischen Anlagen, die primären und sekundären Geschlechtsorgane sowie die hormonellen Voraussetzungen. Anhand dieser Merkmale wird einem Kind nach der Geburt ein Geschlecht zugewiesen: Junge oder Mädchen.

Die häufigsten geschlechtsbestimmenden Chromosomenpaare sind XX (weiblich) und XY (männlich). Daneben gibt es jedoch weitere chromosomale Variationen (z.B. X0, XXY usw.). Auch die Form der Genitalien und die Menge der Geschlechtshormone im Körper können variieren. Die Biologie des Menschen ist weder genetisch noch hormonell oder im äusseren Erscheinungsbild der Geschlechtsorgane auf die bei­den Kategorien «männlich» und «weiblich» beschränkt. Sie weist von Geburt an Variationen auf. Die Unterteilung in «männlich» und «weiblich» ist deshalb zu einfach.

Der Geschlechtsausdruck ist die äussere Erscheinung einer Person, ihre Darstellung von Geschlecht, zum Beispiel durch Kleidung, Frisur, Make-up, Sprache, Verhalten, Namen oder Pronomen. Der Geschlechtsausdruck einer Person und ihre Geschlechtsidentität können, aber müssen nicht übereinstimmen.

Die meisten Menschen fühlen sich dem Geschlecht zugehörig, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Sie werden als cis Menschen bezeichnet. Trans Menschen identifizieren sich nicht oder nicht ausschliesslich mit dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde.

  • Ein trans Mann ist ein Mann, der bei der Geburt aufgrund äusserer Merkmale für ein Mädchen gehalten wurde.
  • Eine trans Frau ist eine Frau, die bei der Geburt aufgrund äusserer Merkmale für einen Jungen gehalten wurde.
  • Manche Menschen identifizieren sich weder (ausschliesslich) als männlich noch (ausschliesslich) als weiblich. Diese Personen bezeichnen sich mit dem Oberbegriff «nichtbinär».

Quelle: Sexuelle Gesundheit Schweiz

Niemand darf diskriminiert werden

Grundsätzlich sind wir uns einig: Jeder Mensch sollte das Recht auf Selbstbestimmung bezüglich seiner Geschlechtsmerkmale haben und seine Identität ausleben dürfen, ohne Diskriminierung befürchten zu müssen.

Dann lese ich diese Woche auf Facebook, dass uns auch am letzten Samstag die Pride in Zürich doch daran erinnerte, dass «sich Schwule in New York gegen Polizeigewalt gewehrt haben». Stimmt so nicht ganz, denn heute wissen wir, dass es nicht cis Schwule waren, die voranschritten. Viele, die Widerstand leisteten, waren trans Personen, wie beispielsweise Sylvia Rivera und Marsha P. Johnson.

Ich lese ebenfalls auf Facebook, dass eine kleine Minderheit versuche, «das Erreichte kaputt zu machen, indem sie der Gesellschaft beispielsweise die Sprache vorschreibt». Der Schreiber dieser Zeilen wolle keinen «Genderwahn», er wolle einfach «mit den Menschen» um ihn herum glücklich sein: «Wer anderes will, kann dies gerne tun, aber bitte nicht als Trittbrettfahrer auf Kosten einer Mehrheit, die nach langem Kampf etwas mehr Verständnis in dieser Gesellschaft erworben hat.»

Bestattung der «Institution Familie» im Vierwaldstättersee vor 40 Jahren.
© Schwulenarchiv Schweiz, Zürich

Im Juni 1983 fand in Luzern ein CSD statt. Feierlich wurde im Vierwaldstättersee symbolisch mit einem grossen Sarg die «Institution Familie» bestattet. Und dem Publikum wurden Todesanzeigen verteilt: «Zutiefst bewegt haben wir die überaus freudige Pflicht, mitzuteilen, dass nach langen Kämpfen die patriarchalische Institution FAMILIE mitsamt dem Zwang zur Heterosexualität von uns gegangen ist.» Am Montag darauf titelte das Luzerner Tagblatt: «Pietätlose Aktion der Schwulen».

Mit dieser schönen Geschichte aus unserer Geschichte ist bewiesen, dass auch wir gleichgeschlechtlich Liebenden vor vierzig Jahren die Gesellschaft ebenfalls vor den Kopf gestossen haben – vor den Kopf stossen mussten. War das Partnerschaftsgesetz nicht nur ein «fauler» Kompromiss – da die Gesellschaft noch nicht reif für die tatsächliche Eheöffnung war? Heute sind diese Knackpunkte halt offenbar Gendersternchen und Pronomen …

Was ich als schwuler Aktivist im Kampf um meine Rechte in den letzten Jahren gelernt habe: Wir als die jetzt besser Verstandenen dürfen uns ruhig auch als Wegbereiter für die bisher Unverstandenen verstehen.

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