Sonntagskolumne: Von Wölfen in Schafspelzen

Fette Schlagzeile auf 20min.ch: «Erste Schwule und Feministinnen wenden sich von der Pride ab». Die queere Community ist vielfältig – und das ist doch gut so, dachte ich bisher – und doch sei sie für einige LGBTIQ-Personen «scheinbar zu vielfältig».

Zurück zum Artikel auf 20min.ch. Da lese ich, dass das Motto «trans – Vielfalt leben» vom letzten Jahr nicht allen gefallen hat. Mensch könne schwul oder lesbisch sein und trotzdem transfeindlich, erklärt der Co-Präsident der «Zurich Pride», Alexander Wenger: «Wir sind vielleicht homo, aber nicht homogen.» Das sei häufig einen Generationen-Gap, meint Alexander Wenger: «Ältere Aktivistinnen und Aktivisten identifizieren sich manchmal stärker mit ihren Labels, während die jüngeren Generationen von Anfang an vereint als queere Community auftreten.»

Und im Ausland gebe es bereits Schwulen- und Lesbenorganisationen, die explizit trans Menschen ausschliessen würden! So wird beispielsweise behauptet, dass der Einsatz von Hormonblockern bei trans Menschen homophob sei: Die Behandlung und Diagnose eines Kindes als trans sei eine Art «Konversionstherapie» – wenn es ansonsten doch lesbisch, schwul oder bisexuell aufwachsen könne.

Habe wir bereits unsere Geschichte vergessen?

Die Geschichte der jährlich stattfindenden «Pride» hat ihren Ursprung in New York. Im Juni 1969 begannen sich die Gäste der Bar «Stonewall Inn» an der Christopher Street gegen die repressive und diskriminierende Behandlung durch die Polizei zu wehren. Anstatt sich unter den Gummiknüppeln zu krümmen, strömten zornige Menschen aus allen Richtungen daher und prügelten sich mit den Gesetzeshütern – sechs Tage lang. Heute wissen wir, dass es nicht cis Schwule waren – wie uns die Legende erzählen will – die voranschritten. Viele, die Widerstand leisteten, waren trans Personen, wie beispielsweise Sylvia Rivera und Marsha P. Johnson.

Ich verstand die Pride oder den Christopher Street Day immer als politische Veranstaltung – um «stolz» zu zeigen, dass wir uns nicht verstecken. In einem weiteren Artikel gibt 20min.ch Thomas Fuchs eine Plattform. SVP-Fuchs ist Grossrat im Kanton Bern und zudem soeben aus dem Berner Stadttrat zurückgetreten (wegen dem «schlechten Stil von Links»). Für ihn ist klar, dass gerade eine Pride wichtig für die «Anliegen von Gleichstellung» sei. Um aber gleichzeitig zu sagen, dass er es für «wenig sinnvoll» findet, dass vermehrt trans Themen in den Fokus der Pride gerückt werden: «Der Anlass sollte nicht für eine kleine Minderheit umgewandelt werden – das Mehrheitsverhältnis muss stimmen.»

Klammerbemerkung: Zum heutigen Geburtstag wünsche ich dieser Stelle Thomas Fuchs für die Zukunft viel Gutes. Es ist wohl in diesen Zeiten nicht lustig, bei der Credit Suisse zu arbeiten.

Auch die Credit Suisse war gestern an der Pride in Zürich als «Gruppe» vertreten. 98 Gruppen waren gemäss der Startaufstellung «des politischen Demonstrationsumzugs» vertreten. Ein Viertel davon stammten aus der Community und drei Viertel waren eben Firmen wie die Credit Suisse. Queer-Washing? Oder ein Abbild der Gesellschaft? Wer tagtäglich frühmorgens auf die Arbeit eilt, ist sicher froh, bei einer dieser «offenen» Firmen arbeiten zu können.

Klammerbemerkung: Trans Personen sind wesentlich häufiger und länger von Arbeitslosigkeit betroffen: Die Arbeitslosenquote beträgt bei trans Personen ca. 20 Prozent und liegt damit fast fünfmal höher als bei der Gesamtbevölkerung.

Überlassen wir die zur Zeit geforderte Gender-Debatte nicht einfach der cis-normativen Politik und den cis-normativen Medien. Mischen wir uns ein! Widersprechen wir – gemeinsam als Buchstaben-Community.

Auf die Frage zur Diskussion rund um «Genderfragen» antwortete gestern Mitte-Präsident Gerhard Pfister in der Berner Zeitung: «Wenn jemand schrill etwas behauptet, bedeutet das noch lange nicht, dass die Behauptung eine grosse Debatte ist.»

Auf den ersten Blick ist Mitte-Pfister auf unserer Seite. Es gelte nämlich der Grundsatz: «keine Diskriminierung»! «Falls es also eine Minderheit gibt, die ohne ein drittes Geschlecht nicht zu ihrem Recht zu kommen glaubt und sich dazu ein gesellschaftlicher Konsens bilden sollte, wird die Politik das angehen.» Aber trotzdem habe Gerhard Pfister allerdings den Eindruck, dass «gewisse Menschen geradezu nach eigener Identität suchen, die sie absolut einzigartig machen soll». Es könne nicht aus «jedem individuellen Bedürfnis subito ein Rechtsanspruch abgeleitet werden».

Auch ein Wolf im Schafspelz?

«Aber, Grossmutter, was hast du für ein entsetzlich grosses Maul!» – «Dass ich dich besser fressen kann!» Kaum hatte der Wolf das gesagt, so tat er einen Satz aus dem Bette und verschlang das arme Rotkäppchen.

Diskussion

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.