Mein Wort zum Sonntag: Weihnachtliche Defizite

Wer christlich sozialisiert wurde, sollte wissen, dass an Weihnachten die Geburt Jesus gefeiert wird, und Jesus Christus wiederum ist der von Gott höchstpersönlich zur Erlösung aller Menschen gesandte Messias. Worauf ich mit dieser Einleitung hinaus will? Mir scheint, dass es so ganz und gar nicht in dieses Weltbild passt, dass da – oft eben gerade von religiösen Kreisen – mit verschiedensten Praktiken die sexuelle Orientierung, die Geschlechtsidentität und/oder den Geschlechtsausdruck einer Person zu verändern – mit dem Ziel, dass sie doch schlussendlich der heterosexuellen cisgender Normvorstellung entsprechen.

Diese Praktiken werden oft als «Konversionstherapien» bezeichnet. Solche «Umpolungen» als «Therapien» zu bezeichnen ist in diesem Zusammenhang mehr als problematisch, denn diese Praktiken heilen nichts – sie verursachen aber grosses Leid für die Personen, die ihnen ausgesetzt sind! Und solche menschenverachtende «Konversionstherapien» werden auch in der Schweiz regelmässig durchgeführt, wie aktuelle Recherchen und journalistische Investigationen belegen – offenbar auch bei der Heilsarmee.

Und endlich sollen nun diese Konversionsmassnahmen verboten werden. So hat «afängs» der Nationalrat am vergangenen Montag mit 143 zu 37 Stimmen (11 Enthaltungen) die Motion seiner Rechtskommission angenommen, welche ein nationales Verbot von Konversionsmassnahmen an LGBTQ+ Personen fordert. In der von unseren LGBT-Dachverbänden veröffentlichten Medienmitteilung betont der Leiter der Rechtsberatung von TGNS, Alecs Recher: «Wir fordern ein strafrechtliches Verbot dieser Praktiken und Sanktionen gegen Personen, die sie anbieten, vermitteln oder bewerben. Denn Konversionsmassnahmen sind für die psychische Gesundheit der Betroffenen höchst schädlich, und nur mit einem expliziten strafrechtlichen Verbot können alle Fälle abgedeckt werden.»

Nun wird noch der Ständerat das Verbot von Konversionsmassnahmen diskutieren und hoffentlich annehmen – und dann, dann kann das strafrechtliche Verbot ausgearbeitet werden …

Eine neue Studie zum Thema Konversionsmassnahmen in der Schweiz von Yv E. Nay zeigt auf, dass diese Praktiken eine lange Geschichte und ihren Ursprung in der Pathologisierung von Homosexualität und später von Transidentität im 19. und 20. Jahrhundert haben. Sie beruhen auf der falschen Vorstellung, dass Homosexualität und Transidentität «geheilt» werden sollten und könnten. Neben der Notwendigkeit eines generellen Verbots betont die Studie auch die Wichtigkeit einer breiten Sensibilisierung für LGBTQ-Themen in Schulen, Universitäten, Religionsgemeinschaften usw., um diesen Praktiken und die ihnen zugrunde liegenden Haltungen nachhaltig Einhalt gebieten zu können. Ebenso sollten die Berufsverbände im Pflege- und Betreuungsbereich ihre Mitglieder verstärkt in LGBTQ-Themen schulen, um LGBTQ-Klient*innen in ihren Fragen bestmöglich begleiten zu können.

Ein halbes Ja für mehr Schutz für Kinder von Regenbogenfamilien

Am vergangenen Mittwoch hat der Ständerat entschieden, dass die Stiefkindadoption zwar erleichtert werden soll, aber die Anerkennung beider Eltern ab Geburt weiterhin nicht gelten soll, wenn das Kind durch ein fortpflanzungsmedizinisches Verfahren im Ausland oder durch eine private Samenspende gezeugt wurde. In einer gemeinsamen Medienmitteilung geben sich die Lesbenorganisation Schweiz (LOS) und Pink Cross zwar «erfreut» darüber, dass der Ständerat den Handlungsbedarf bei der Stiefkindadoption erkannt hat, ermutigen aber gleichzeitig den Ständerat und den Nationalrat «Fragen der Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Eltern bei der Revision des Abstammungsrechts Priorität einzuräumen».

Mit der «Ehe für alle» wurde Frauenpaaren ermöglicht, eine professionelle Samenspende in der Schweiz in Anspruch zu nehmen und so eine Familie zu gründen. Falls ein gleichgeschlechtliches Paar jedoch dank einer privaten Samenspende oder einem fortpflanzungsmedizinischen Verfahren im Ausland ein Kind zeugt, müssen Regenbogenfamilien den Umweg über eine Stiefkindadoption gehen, um rechtlich abgesichert zu sein.

Defizite bei der Bekämpfung von geschlechtsbezogener Gewalt

Im November dieses Jahres hat GREVIO – die unabhängige Expert*innengruppe, welche für die Überwachung der Umsetzung des Übereinkommens des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) durch die Vertragsparteien verantwortlich ist – ihren ersten Bericht über die Umsetzung von Massnahmen gegen geschlechtsbezogene, sexualisierte und häusliche Gewalt in der Schweiz veröffentlicht. 2017 hatte sich die Schweiz mit der Ratifikation der Istanbul-Konvention zur Ergreifung dieser Massnahmen verpflichtet.

Fazit: Die Schweiz erfüllt viele Anforderungen der 2018 in Kraft getretenen Europaratskonvention zur Verhütung von geschlechtsbezogener, sexualisierten und häuslicher Gewalt nicht.

Die Expert*innen kritisieren, dass sowohl bei politischen Debatten und Vorgaben in der Schweizer Politik als auch bei praktischen Massnahmen zur Bekämpfung von Gewalt die Geschlechterperspektive häufig vernachlässigt wird. Geschlechtsbezogene Gewalt müsse aber dringend anerkannt und als solche benannt werden. Auch stehe für die Bekämpfung von Gewalt auf allen Ebenen zu wenig finanzielle und personelle Ressourcen zur Verfügung. GREVIO fordert zudem die Einführung eines schweizweit standardisierten und gendersensiblen Verfahrens zur Risikobewertung und zum Sicherheitsmanagement. Die Schweiz biete vor allem auch intersektional diskriminierten (Gleichzeitigkeit verschiedener Diskriminierungskategorien) und von Gewalt betroffenen Personen keinen ausreichenden Schutz. Dazu gehören Menschen mit Behinderungen, LGBTIQ-Personen, Menschen auf der Flucht sowie alte Menschen.

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