Während der Woche erhalte ich gaaanz vieeele Mitteilungen: Da gibt es Nachrichten von meiner Lieblingspartei und von anderen Parteien, aus dem Bundeshaus und dem Rathaus und und und. Und ich gebe es zu, dass ich diese Mitteilungen (meistens) bewusst abonniert habe, vieles nur überfliege oder gleich lösche und ein paar Sachen wirklich interessant finde – und schlussendlich vielleicht sogar in meine sonntägliche Kolumne einfliessen.
Diese Woche schmunzelte mich in einer dieser Nachrichten ein junger Mann an, adrett gekleidet mit weissem Hemd und blauem Kittel. David Trachsel, Präsident Junge SVP, heisst er. Und weil ich diese Woche gerade bei der Frage «Stimmrechtsalter 16» mit JA gestimmt habe, gebe ich dem Präsident Junge SVP Schweiz eine Chance und lese seine Mitteilung an mich sogar. «Der Woke-Wahn ist in der Schweiz angekommen», behauptet er im ersten Satz, die «Woke-Apostel» wollten nichts anderes, «als uns alle umerziehen» – und da gebe er Gegensteuer: «Unsere freiheitliche, auf christlich-bürgerlichen Werten beruhende gesellschaftliche Ordnung soll auf allen Ebenen bekämpft und durch eine sozialistische Ordnung ersetzt werden». Deshalb auch wurde nun von der Jungen SVP eine Kampagnen-Plattform lanciert, die auf «verständliche Weise» erklärt, was «hinter der Woke-Ideologie, Cancel Culture und Political Correctness steckt».
Ich klicke auf die Webseite und lese «Woke-Wahnsinn jetzt stoppen» und drum rum die Schlagworte «Gender-Sprache», «Umerziehung», «Bevormundung», «Aneignung», «Meinungsdiktatur» und «Transgender-Propaganda»! Das letztgenannte Schlagwort stösst mir definitiv sauer auf – wird doch damit direkt eine Menschengruppe angegriffen, denn «Transgender zerstören unsere Identität – Mann, Frau und Familie soll es nicht mehr geben».
Was für ein Blödsinn, denke ich, lese trotzdem weiter und klicke auf «Aktiv werden». Ich soll die Online-Petition «Rette Winnetou» unterzeichnen, damit das Schweizer Fernsehen die Filme zeigt!
Äh? Ich stelle mir gerade vor, wie David Trachsel mit seinen Kumpels vor dem Farbfernseher sitzt, Winnetou guckt und so den «Woke-Wahnsinn» stoppt und vor allem auch die «Transgender-Propaganda». Wenn ich mich nämlich noch richtig erinnern kann, ist in den Winnetou-Filmen die Welt noch in Ordnung. Da sitzen die Frauen im Wigwam und die Männer schliessen Blutsbrüderschaft und rauchen die Friedenspfeife. Ach!
Ich kann es ja irgendwie nachvollziehen, dass wir uns in diesen Tagen nach einfachen Problemen sehnen. Klima, Ukraine – das ist doch alles viel zu komplex. Aber Winnetou retten, das kapiert jeder!
«Das Geschlechterbild, das immer noch vorherrscht, sieht trans Menschen nicht vor. Wir gehen als Gesellschaft immer davon aus, dass wir bei der Geburt auf das Genital schauen und dann wissen, was das für eine Person ist und wie sie sich entwickeln wird. … Trotzdem tut unsere Gesellschaft so, als müsste, wer mit einer Vulva zur Welt kommt, den ganzen Tag mit Barbies spielen, Mutter werden und keine Karriere machen. Da braucht es noch viel Arbeit.»
Hannes Rudolph, Geschäftsleiter HAZ – Queer Zürich, in der WOZ vom 1. September 2022
Als alternde Schwuchtel – ja, auch wir waren in früheren Zeiten eine Gefahr für die Familie – wage ich zu behaupten, dass ich wohl mehr trans Personen kenne, als es Mitglieder bei der Jungen SVP gibt (hoffe ich vor allem irgendwie). Und ich kann nur bestätigen, dass da niemand eine Gefahr für irgendwer oder irgendwas ist. Auch trans Menschen wollen ihr Leben auf diesem Planeten einfach nur einigermassen nett verbringen.