Es gab mal eine Zeit, da war ich der Meinung, dass mein Schwulsein so lange politisch ist, bis ich tatsächlich die gleichen Rechte habe. Nur schon deshalb musste ich mich für die Politik interessieren – und habe so auch rausgefunden, wie Politik funktioniert. Mühsam und schwerfällig, würde ich mal behaupten …
Ich bin schon seit ein paar Jahren Mitglied der Arbeitsgruppe «Politik» von hab queer bern (vormals Homosexuelle Arbeitsgruppen Bern HAB). Wir politisieren nicht am Stammtisch, sondern im Sitzungszimmer. Wir sind Beobachter*innen der queeren Politik. Und wir hoffen auf weitere Mitkämpfer*innen in unserer Gruppe – damit wir mehr Power haben. Fehlanzeige!
Wir seien bei hab queer bern doch ein regionaler Verein und queere Politik sei nationale Politik. Und dafür kämpften doch unsere Dachverbände wie Pink Cross (für die Schwulen), die Lesbenorganisation Schweiz LOS (für die Lesben) und Transgender Network Switzerland (für trans Personen). Und das ist natürlich gut so – ich unterstütze alle drei Organisationen finanziell mindestens mit meinem Mitgliederbeitrag …
Doch – davon bin ich eben überzeugt – queere Politik muss auch in den Gemeinden, in den Städten und in den Kantonen stattfinden. Ein Beweis dafür ist – u.a. – Eva Schmid. Eva sitzt im Grossen Gemeinderat von Muri bei Bern und ist dort Fraktionspräsidentin der SP Muri-Gümligen (und ist auch Parteisekretärin der SP Stadt und Region Bern).
Und im Juni dieses Jahres hat Eva Schmid (zusammen mit Laura Bircher von der FDP und Angelo Zaccaria von der SP) ein Postulat eingebracht, das «all gender»-Toiletten in Schulhäusern und anderen öffentlichen Gebäude und Anlagen der Gemeinde Muri fordert. Denn «all gender»-Toiletten könnten Diskriminierung und Mobbing vorbeugen: «Deshalb sollen Personen, die sich keiner Kategorie des binären Geschlechtersystems zuordnen, künftig in den öffentlichen Gebäuden und Anlagen, insbesondere Schulanlagen, die Möglichkeit haben, eine ‹all gender›-Toilette zu benutzen», ist in der Begründung des Postulats nachzulesen.
Werden im Anstellungsprozess bei der Anstellung von Personal in der Gemeindeverwaltung Diversity-Aspekte berücksichtigt? Und besteht in der Gemeinde Muri überhaupt ein Diversitykonzept? Diese und andere Fragen will Eva Schmid mit einer ebenfalls im Juni dieses Jahres eingebrachten Interpellation vom Gemeinderat wissen. Ein rascher Blick auf das Organigramm der Gemeindeverwaltung genüge, um zu sehen, dass «die Zusammensetzung der Gemeindeverwaltung nicht mit Diversität» glänze. Dabei sei eine diverse Personalstruktur aus vielen Gründen zu begrüssen: «So zeigen Studien deutlich: Je diverser, desto erfolgreicher».
Mit einer Eingabe im Parlament von Muri-Gümligen fordert Eva Schmid eine kostenlose Abgabe von Tampons und Binden in Schulhäusern und anderen öffentlichen Gebäuden und Anlagen der Gemeinde. In der Begründung hebt Eva hervor, dass die Menstruation in der Schweiz noch immer ein Tabuthema sei, obwohl sie mindestens die Hälfte der Bevölkerung direkt betreffe. Es sei daher dringend nötig, dieses Thema immer wieder in die gesundheitspolitischen Debatten einzubringen und vor allem Lösungsansätze voranzutreiben. Hygieneartikeln sind «lebenswichtige und unverzichtbare Alltagsprodukte – wie z.B. Toilettenpapier – und sollten deshalb auch kostenlos und leicht zugänglich in allen öffentlichen Toiletten zur Verfügung stehen». In diesem Zusammenhang möchte ich noch anfügen, dass Tampons und Binden auch in den Toiletten für Männer zur Verfügung gestellt werden sollten. Denn es gibt auch Männer, die menstruieren (und ist ein Grund mehr, «all gender»-Toiletten subito einzuführen).
Bereits im Oktober letzten Jahres fragte Eva Schmid mit einer «Einfachen Anfrage» im Grossen Gemeinderat nach, ob der Gemeinderat im Hinblick auf die Abstimmung über die «Ehe für alle» öffentlich Stellung beziehe und ein Zeichen setze: «Andere Gemeinden und Städte tun dies, indem sie Regenbogenfahnen aufhängen». Die Stellungnahme des Gemeinderats war ernüchternd: «Gemäss gelebter Praxis des Gemeinderats bezieht dieser keine Position zu eidgenössischen oder kantonalen Abstimmungsvorlagen». Daher werde der Gemeinderat auch in Zukunft davon absehen, sich mit dem Aufhängen von Fahnen am Gemeindehaus zu politischen Themen zu äussern.
Anders hat da das Stadtberner Parlament im Juni dieses Jahres entschieden: Jeweils am 17. Mai werden in Zukunft in der Stadt Bern Regenbogen- und Transfahnen gehisst – in Erinnerung daran, dass am 17. Mai 1990 die Weltgesundheitsorganisation WHO Homosexualität aus dem Diagnoseschlüssel der Krankheiten gestrichen hat.
Bleiben wir gesund – und politisch!