Liebe Tamara Funicello
Im Facebook sind wir befreundet! Im wahren Leben sind wir uns noch nie über den Weg gelaufen. Über deinen Aktivismus erfahre ich aus den Medien oder eben von deinem Profil. Ob du mich und meine Aktivitäten – beispielsweise für hab queer bern – wahrnimmst?
Vor ein paar Monaten habe ich irgendwo im Internet ein paar Fragen beantwortet. Aufgrund dieser Fragen habe ich dann erfahren, wer von den politisierenden Menschen ähnlich denkt wie ich. Und da erschien – kein Witz – tatsächlich der Name «Tamara Funicello». Ich gebe es zu, darüber bin doch ein bisschen erschrocken. Denke ich wirklich so radikal wie die Funicello? Gleichzeitig musste ich aber schmunzeln, ich wäre wohl ein gutes Mitglied der Jungen Sozialisten geworden, denke ich leise.
Mit knapp 60 sind meine persönlichen Berührungspunkte zu den JUSO äusserst klein, höchstens zum Berner Stadtrat Mohamed Abdirahim. Und dieser hat auf einem von hab queer bern organisierten und von mir moderierten Podium mal gesagt, dass er in den Stadtrat gewählt werden wolle, weil nun junge Menschen an der Reihe seien und «alte Säcke» da nichts mehr verloren hätten. Stimmt, dachte ich damals – und nahm es aber trotzdem persönlich.
Nun freue ich mich aber riesig, liebe Tamara, über dein Coming-out als bi Mensch. «Nach teilweise langjährigen Beziehungen mit Männern lebe sie inzwischen mit einer Frau zusammen», habe ich irgendwo gelesen. Im Privaten hättest du daraus nie ein Geheimnis gemacht. Und wie selbstverständlich habe ich dich immer unserer queeren Community zugeordnet. Dein mediales Coming-out hat mich deshalb ein wenig erstaunt – ich finde es aber äusserst wichtig, dass du nun diesen Schritt gemacht hast!
Ich hatte mein Coming-out als Schwuler vor 30 Jahren – war also ein Spätzünder. Und bald darauf wusste ich: Solange wir nicht die gleichen Rechte wie die heteronormative Mehrheit haben, solange ist meine sexuelle Orientierung politisch. Und mit Blick auf unsere Buchstaben-Community sind auch die Geschlechtsidentität, die Geschlechtsmerkmale und der Geschlechtsausdrucks politisch.
Der Grund für dein Coming-out habe «einen politischen, einen persönlichen und einen pragmatischen Grund» – es habe in den eidgenössischen Parlamenten noch nie eine Frau gegeben, die offen zu ihrer Liebe zu Frauen stehe. «Diese Sprechposition fehlt» wirst du zitiert, «bei der ‹Ehe für alle›, beim Diskriminierungsgesetz, überall». Dabei geht es im Moment in der Schweizer Politik gerade recht oft um uns «Homosexuellen» und glücklicherweise sitzen schon einige von uns im Bundeshaus: Ein paar schwule Politiker – aber eben keine einzige geoutete Frau.
WTF! Wählt Tamara Funicello … Meine Stimme hast du!
Als du vor drei Jahren zur Präsidentin der JUSO gewählt wurdest, hast den Anspruch formuliert, der «Dorn im Arsch der SP» sein zu wollen. Weisst du was, liebe Tamara? Sei doch auch ein bisschen ein Dorn im Arsch der queeren Community. Etwas weniger Bürgerlichkeit und etwas mehr Zusammenhalt untereinander würde uns guttun! Auch uns «alten, weissen, schwulen, cis Säcken».
Wärmstens, Daniel Frey