Am 12. Juni ist der mittlerweile vierte «Aktionsplan Gleichstellung» der Stadt Bern lanciert worden. Der Gemeinderat hat damit die Weichen für die städtische Gleichstellungspolitik der nächsten vier Jahre gestellt.
Bereits seit 2009 setzt die Stadt Bern die Geschlechtergleichstellung mit Aktionsplänen um, in denen der Gemeinderat verbindliche Ziele und Massnahmen festlegt. Mit dem Beitritt zum Rainbow Cities Network im Jahr 2019 hat sich die Stadt Bern als «Regenbogenstadt» dazu verpflichtet, eine aktive Politik zur Gleichstellung von LGBTIQ-Menschen und gegen Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität zu betreiben. Entsprechend enthielt der dritte Aktionsplan 2019 bis 2022 erstmals auch Massnahmen in diesem Bereich.
Im neuen Aktionsplan 2023 bis 2026 stehen – wie die Stadt Bern in einer Medienmitteilung verspricht – Gleichstellung, Diversität und Inklusion im Vordergrund. Ich habe den 24-seitigen Aktionsplan mit meinem queeren Auge durchgeschaut. So steht über dem ganzen Aktionsplan die Vision:
«Menschen, die in der Stadt Bern leben und/oder arbeiten, haben unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Geschlechtsidentität und ihrer sexuellen Orientierung dieselben Chancen, selbstbestimmt und frei von Diskriminierung ihre Lebensentwürfe zu verwirklichen.»
Einleitend wird im neuen Aktionsplan festgestellt, dass «in der Gleichstellung von LGBTIQ-Menschen in den letzten Jahren grosse rechtliche Fortschritte» erzielt wurden. Mit einem Verbot der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung, der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare und der vereinfachten Personenstandsänderung für trans Menschen seien wichtige Meilensteine erreicht worden. Und gerade die Diskussionen im Vorfeld der entsprechenden Abstimmungen hätten zu einer erhöhten Sichtbarkeit queerer Menschen beigetragen. Aber: «Viele queere Menschen, die sich als solche zu erkennen geben, fühlen sich im öffentlichen Raum nicht sicher und haben Angst vor Spott, verbaler und physischer Gewalt». Mindestens ein Drittel aller LGBTIQ-Personen würden sich in der Schule oder am Arbeitsplatz nicht als solche zu erkennen geben:
«Diesen Teil der Identität oder Lebensweise nicht offenlegen zu können, kann zu einer grossen Belastung werden und kostet die Betroffenen oftmals viel Kraft. Auf besonders viel Unverständnis, Gewalt und strukturelle Diskriminierung stossen diejenigen queeren Menschen, die nicht den gesellschaftlichen Vorstellungen von weiblich oder männlich entsprechen.»
Die queeren Schwerpunkte, Ziele und Massnahmen:
Die Istanbul-Konvention – das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt – wurde 2018 von der Schweiz ratifiziert. Gewalt gegen Frauen ist eine Menschenrechtsverletzung und eine Form der Geschlechterdiskriminierung. Die Istanbul-Konvention verdeutlicht, dass ein Leben frei von Gewalt eine Grundvoraussetzung ist für eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen, sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Leben. Die Bekämpfung von Gewalt gegenüber Frauen und weiblich gelesenen Menschen ist deshalb immer auch Gleichstellungsarbeit. Umgekehrt ist ohne Gleichstellung eine Gesellschaft ohne Gewalt nicht möglich. Gewaltausübung geht oft einher mit weiteren Formen von Diskriminierungen wie Rassismus, Klassismus oder Queerfeindlichkeit.
Während bei polizeilich erfassten Vorfällen von häuslicher Gewalt und Gewalt im öffentlichen Raum das amtliche Geschlecht erfasst wird, fehlen in der Schweiz bisher offizielle Daten zu Gewalttaten im Zusammenhang mit der sexuellen Orientierung, der Geschlechtsidentität oder dem Geschlechtsausdruck. Bei allen Gewaltformen gegenüber Frauen und queeren Menschen ist grundsätzlich von einer sehr hohen Dunkelziffer von Fällen auszugehen.
Für die Stadt Bern hat die Prävention und Bekämpfung von Gewalt höchste Priorität. Mit der Lancierung des Projekts «Bern schaut hin» setzt sie ein deutliches Zeichen gegen Sexismus und Queerfeindlichkeit im öffentlichen Raum. In den nächsten Jahren werden im Rahmen des Projekts verschiedene Massnahmen zur Prävention von Belästigungen und Förderung der Zivilcourage in der Bevölkerung umgesetzt.
Mit dem Erhalt des Swiss LGBTI-Label 2022 verpflichtet sich die Stadt Bern als Arbeitgeberin ein inklusives Arbeitsumfeld zu schaffen, das sowohl von der Kultur als auch von der Infrastruktur her queere Mitarbeitende willkommen heisst und die Gleichstellung von LGBTIQ-Angestellten weiter vorantreibt. Informationen zu LGBTIQ-Themen werden zudem weiter ausgebaut und sind im Intranet der Stadt verfügbar. Auch wird die Gründung eines queeren Netzwerks für städtische Angestellte geprüft. Gemäss Umfrage unter den Mitarbeitenden ordnet sich rund ein Prozent der Befragten weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zu.
Geflüchtete Frauen und queere Menschen haben einen erhöhten Schutzbedarf. Um zu gewährleisten, dass die Entscheidungsträger*innen hinreichend über deren Lebenssituation und die aktuellen Herausforderungen informiert sind, wird einmal im Jahr bei der Gesundheits‑, Sozial- und Integrationsdirektion des Kantons Bern (GSI) ein Bericht eingereicht, der die aktuelle Situation der betroffenen Personen beschreibt und den dringendsten Handlungsbedarf aufzeigt.
Auch sollen alle städtischen Formulare geschlechterinklusiv, diversitätssensibel, datensparsam und in einfacher Sprache gestaltet und bis Ende 2024 an die Standards der Barrierefreiheit angepasst werden.