Der Nationalrat hat gestern zwei Motionen gutgeheissen, die einen weiteren Schritt auf dem Weg zur Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Paaren gegenüber verschiedengeschlechtlichen Paaren mit sich bringen.
Wenn heterosexuelle Ehepaare im Ausland fortpflanzungsmedizinische Leistungen in Anspruch nehmen oder auf eine private Samenspende zurückgreifen, gilt aufgrund der gesetzlichen Vaterschaftsvermutung der Ehemann der Mutter immer automatisch als Vater. Analog soll bei einer solchen Ausgangslage künftig bei lesbischen verheirateten Paaren die Ehefrau der leiblichen Mutter ebenfalls von Geburt des Kindes an als zweiter rechtmässiger Elternteil gelten. So will es eine Motion, die gestern mit 96 zu 83 Stimmen angenommen wurde. In einer zweiten Motion geht es darum, die Voraussetzung des einjährigen Pflegeverhältnisses als Adoptionsbedingung für ein Stiefkind fallen zu lassen, wenn ein leiblicher Elternteil bereits bei Geburt des Kindes mit dem adoptionswilligen Elternteil zusammenlebt. Der Nationalrat hiess diese Motion mit 133 zu 40 Stimmen gut.
Der Dachverband Regenbogenfamilien ist erfreut und erleichtert über diesen Entscheid. Für den Verband wird allerdings wichtig sein, dass im Verlauf des parlamentarischen Prozesses bei der Stiefkindadoption auch die Vorgabe des dreijährigen gemeinsamen Haushalts fallen wird. «Uns sind Fälle bekannt, bei denen sich Lesbenpaare schon vor dieser Dreijahresfrist einen Kinderwunsch erfüllen wollten», sagt Maria von Känel, Geschäftsführerin des Dachverbandes Regenbogenfamilien. Der Schutz der Kinder müsse Vorrang haben, sagt von Känel. Das Problem: Wenn dem nichtleiblichen Elternteil etwas zustösst, bevor die Stiefkindadoption abgeschlossen ist, ist das Kind schlecht abgesichert.
Schutz der Kinder muss in jedem Fall gewährleistet sein
Bei derjenigen Motion, bei welcher die Voraussetzungen für die Stiefkindadoption gelockert werden sollen, stimmte auch der Bundesrat zu. Bei jener Motion betreffend die gemeinsame Elternschaft ab Geburt des Kindes nahm der Bundesrat hingegen eine ablehnende Haltung ein. Der Bundesrat moniert, es gebe international keine Standards bei den Daten, um das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung zu sichern. Der Dachverband Regenbogenfamilien wendet dagegen ein, dass es sehr wohl Lösungen gibt, um die Kenntnis der Abstammung sicher zu stellen. Zudem obsiegt bei einer Güterabwägung zwischen Kenntnis der Abstammung und optimalem Schutz der Kinder ab Geburt das Argument, das die Absicherung der Kinder betrifft.
«Die private Samenspende darf gegenüber der professionellen Samenspende mittels Samenbank keine Nachteile mit sich bringen und der Schutz des Kindes muss in jedem Fall gewährleistet sein», bekräftigt Maria von Känel. «Es wird immer Lesbenpaare geben, die sich aus finanziellen oder persönlichen Gründen für eine private Samenspende entscheiden und für den Schutz der Kinder braucht es auch in diesen Fällen eine gemeinsame Elternschaft ab Geburt», so von Känel.
Gesetzesanpassung soll zu einer tatsächlichen Gleichstellung führen
Durch die aktuell angestossenen parlamentarischen Prozesse können Gesetzeslücken geschlossen werden, die bei der Vorlage zur Ehe für alle auf der Strecke geblieben sind. Denn die Ehe für alle regelt die Verhältnisse nur für die inländische Samenspende mittels Samenbank. Nun sei es wichtig, dass bei der weiteren parlamentarischen Arbeit auch eine tatsächliche Gleichstellung resultiert und der Schutz der Kinder im Zentrum steht, hält der Dachverband Regenbogenfamilien in seiner Medienmitteilung fest. Aus Sicht des Dachverbandes ist das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung ein wichtiges Anliegen, jedoch darf dadurch der Anspruch eines Kindes, von Geburt an zwei rechtliche Elternteile zu haben, nicht beeinträchtigt werden.
Anzumerken ist zudem, dass das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung bei verschiedengeschlechtlichen Paaren mit viel geringerer Strenge angewendet wird als bei gleichgeschlechtlichen Paaren. So greift zum Beispiel die Vaterschaftsvermutung, auch wenn der Ehemann nicht der genetische Erzeuger ist und heterosexuelle Väter können ein Kind anerkennen, ohne den Nachweis der genetischen Verwandtschaft zu erbringen. Unter diesem Blickwinkel ist der Einwand des Bundesrats zu relativieren. Das Recht des Kindes auf Kenntnis der Abstammung ist wichtig, aber es darf nicht dazu führen, dass Kinder von gleichgeschlechtlichen Paaren nicht geschützt sind und gegenüber Kindern von verschiedengeschlechtlichen Paaren ungleichbehandelt werden.
Die zwei Motionen gehen jetzt an den Ständerat.
Gemäss einer Medienmitteilung Dachverband Regenbogenfamilien