Wenn alles klappt, wird in einer Woche mein Lockdown beendet sein: Ich werde wieder arbeiten gehen dürfen. Endlich! Der «Stubenhocker» – übrigens noch immer ohne Netflix-Abo – darf aus der Agglomeration kommend wiedermal in die grosse Stadt fahren. Ich bin schon jetzt aufgeregt!
Ganz «down» war ich natürlich in den letzten Wochen nicht. Dank dem Internet liegt mir die ganze Welt zu Füssen. Und auch als Queer*Aktivist finde ich im World Wide Web viele spannende, aber auch absonderliche Themen.
So sorgte etwa ein Herzchirurg der Karlsruher Helios-Kliniken letzte Woche für Schlagzeilen. Auf Twitter schrieb er in Türkisch: «Als Arzt möchte ich feststellen, dass Homosexualität und Transsexualität Krankheiten sind». Die Klinikleitung beeilte sich mit einer Stellungnahme: «Die fraglichen Äusserungen stimmen keineswegs mit den Handlungsgrundsätzen bei Helios überein». Der Fall werde nun intern geprüft und ggf. rechtliche Schritte eingeleitet.
Ebenfalls in die Kategorie «absonderlich» reihe ich die Anfang März eingereichte Interpellation von Benjamin Roduit von der christlichdemokratischen Volkspartei ein. Mit seinem Vorstoss fordert der Nationalrat den Bundesrat auf, Angaben zu Minderjährigen zu machen, welche sich wegen Problemen mit ihrer Geschlechtsidentität in Behandlung befinden oder in den letzten Jahren befanden, über deren genaues Alter und die durchgeführten Behandlungsmethoden – bis hin zu operativen Eingriffen. Aus welcher Ecke der Vorstoss kommt, verrät der letzte Satz in der Interpellation: «Pubertätsblockierende und ‹geschlechtsangleichende› Massnahmen bei Minderjährigen sind in der medizinischen Fachwelt umstritten, weil dadurch eine mögliche Aussöhnung mit dem biologischen Geschlecht möglicherweise weniger wahrscheinlich wird». Warum Nationalrat Roduit das Wort «geschlechtsangleichend» in Anführungszeichen setzt, bleibt mir ein Rätsel. Auch für Urs V. Sager von InterAction ist die Interpellation rätselhaft. Gerne würde er wissen, woher der Nationalrat die Aussage zur medizinischen Fachwelt habe, wie er mir auf Anfrage erklärte.
In die Kategorie «spannend» gehört für mich die Geschichte von uns Schwulen. Im Zusammenhang mit dem Ende des Faschismus vor 75 Jahren verschickte gestern der Basler Schwulenaktivist Peter Thommen ein Mail mit spannendem Inhalt zur schwulen Geschichte. Peter schreibt, dass er anlässlich der Ausstellung «Magnet Basel – Migration im Dreiländereck Basel» auf eine Akte gestossen sei, die einen deutschen Schwulen betrifft, der in die Schweiz geflüchtet ist: «Sein Asylantrag in Basel wurde in Bern bearbeitet. Er war bereits in einem Konzentrationslager gewesen und das Aussendepartement erkundigte sich 1935/36 in Berlin ‹weswegen›. Als sie erfuhren, dass er aufgrund von Paragraf 175 inhaftiert gewesen war, wollte man in der Schweiz nichts mehr von ihm wissen und stellte ihn an die Grenze zu Frankreich.» Der Paragraf 175 im deutschen Strafgesetzbuch existierte von 1872 bis 1994. Er stellte sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe.
Im Mail verlinkt Peter Thommen zudem zur Geschichte von Wolfgang aus Lörrach und Basel aus den 50er-Jahren. Im Gegensatz zu Deutschland, war Homosexualität in der Schweiz damals nicht verboten, die Strafverfolgung war aber «scharf» auf Sex gegen Entgelt irgendwelcher Art und auf das «Schutzalter» 20 Jahre. Gerne zitiere ich aus der eindrücklichen Geschichte von Wolfgang:
«Als ich älter wurde, bin ich dann immer an den Wochenenden abgehauen von Zuhause und bin nach Basel gefahren. Das liegt von Lörrach nicht weit entfernt, aber die Landesgrenze verläuft dazwischen. Da hatte ich einen älteren Freund. Bei dem habe ich immer übernachtet und lernte auch seine anderen schwulen Freunde kennen. … Wir haben zusammen gegessen, gingen aus, ich lernte Theater und Oper kennen und entfernte mich immer weiter von meinem Zuhause. … Mein Vater aber merkte, dass ich ihm immer weiter entglitt. Eines Tages fuhr er mir nach, spionierte herum und fand heraus, dass ich mit Schwulen verkehrte. Er ging zur Polizei und zeigte mich an. Der Kriminale, der mich verhörte, gebrauchte alle möglichen Tricks, um mich zu überführen: Wir alle haben doch mal – als Jungs – das ist doch nicht so schlimm! Was hast du denn da für einen Freund? Damit lockte er mich in die Falle. Und dann kam zur Sprache, dass ich die Sachen angenommen hatte, und das wurde als Strichertum hingestellt. Ich bekam ein halbes Jahr. Man schaffte mich nach Freiburg, legte mich in eine Einzelzelle, denn ich war ja gefährlich für die anderen!»