Ich bin Hans. Und ich bin seit einer Woche krank – habe ständig Kopfweh, meine Nase ist verstopft und ich habe auch noch immer Fieber. Am Freitag war ich bei meinem Arzt und der prognostizierte mir eine Grippe. Eine Grippe daure mit Medikamenten sieben Tage und ohne Medikamente eine Woche. Und mit solchen doofen Ratschlägen ist der Arzt geworden?
Obschon sich wettermässig Frühlingsgefühle einstellen sollten – die Vögelchen pfeifen am Morgen schon wieder so aufdringlich fröhlich – hat mich diese Grippe runtergezogen. Ich fühle mich allein und sehne mich nach einem starken Rücken zum Anlehnen oder eine Schulter zum Ausweinen. Oder praktischer gedacht: Ich brauche jemanden, der mir mein Süppchen und meinen Tee ans Bett bringt.
Wie praktisch wäre es jetzt im Altersheim. Da würde sich jetzt nicht nur das Personal aufopfernd um mich kümmern, sondern auch die Mitbewohnerinnen und Mitbewohner würden sich sorgenvoll nach mir erkundigen und mich in meiner kleinen Alterswohnung besuchen. Das würde alles automatisch passieren, ohne dass ich aktiv werden muss. Stattdessen hänge ich nun allein rum und merke einmal mehr, dass ich wohl an meinem Beziehungsfeld hätte arbeiten müssen. Ohne Freundes- oder Bekanntenkreis bleibt man halt allein!
Aber wo trifft man auf nette Menschen, ohne gleich ein Eindringling zu sein?
Ich war mal vor ein paar Monaten an diesem 3gang-Essen in der Villa Stucki. Obschon da alle sehr nett waren, konnte ich mich nicht so richtig für den Anlass erwärmen. In einer Ecke sassen ein paar Männer in meinem Alter, die in ihr Jassen vertieft waren. Mein zaghaftes «Grüessech» erwiderten sie nur mit einem kurzen Nicken. Schlussendlich sass ich an einem Vierertisch. Mein Gegenüber sprach den ganzen Abend gar nichts. Er habe sich nur neue Bücher aus der Bibliothek geholt, sagte er wortkarg – aber lächelnd. Der Mann schräg Gegenüber war mit einem Namensschildchen angeschrieben – und dieser diskutierte ausführlich mit seinem ebenfalls angeschriebenen Gegenüber. Obschon sich die beiden Angeschriebenen rührend um mich bemühten, mir die schwule Bibliothek erklärten und mich über mich ausfragten, wurden wir irgendwie nicht warm miteinander. Ich war am Tisch von zwei Aktivisten gelandet, in deren Welt ich nicht eindringen konnte und wollte. So solidarisierte ich mich mit dem Schweigsamen mir gegenüber. Wenigstens wurde an diesem Abend mein Lieblingsmenu serviert … Hörnli und Gehacktes mit Apfelmus und Schokoladekuchen.
Nun liege ich also krank zu Hause rum. Und damit ich nicht zu stark ins Grübeln über mein verknorztes Leben komme, habe ich «Netflix» abonniert. Und da habe ich die Serie «Grace and Frankie» entdeckt. Die Rolle der Grace spielt die grossartige Jane Fonda. Und irgendwie wie Grace bin ich: Immer unnahbar und die Fassade immer aufrecht haltend. Aber sie hat wenigstens eine beste Freundin, Frankie eben. Dabei möchte ich eigentlich mehr wie Frankie sein – etwas sonderbar und schräg.
Komischerweise finde ich mich nicht in den beiden Ehegatten von Grace und Frankie wieder. Robert und Sol gestehen ihren Ehefrauen nach 20 Jahren, dass sie längstens ein Liebespaar seien. Beide Männer wollen ihren Ruhestand miteinander geniessen und heiraten. Mir sind Robert und Sol irgendwie «zu schwul»!
Und ich gucke jetzt weiter «Grace and Frankie», versinke wieder in dieser Geschichte … und trinke dazu einen biologischen Kräutertee.
Euer Hans H.
Lieber Hans
Ig hoffe, dass du bald wieder gsund wirsch. Wär gärn bereit gsi, dir Tee und Süppli as Bett zbringe. Nur leider känn ig di nid. Das mit äm 3‑gang find ig nid guet. Ok ig bi ou eine vo däne sture Jasser. Chum doch no einisch u ig nimme mir Zyt für di.
Liebä Gruess Hans Peter
Vorweg wünsche ich Hans natürlich gute Genesung!
Grippen (nicht die Flugzeuge!) sind virale Erkrankungen, die so eine Woche dauern bis das Immunsystem genügend Abwehrkräfte gebildet hat. Da kann der Arzt nicht viel machen. Empfehle Ruhe und eine Wolldecke.
Mit Hörnli und Gehacktem und Apfelmuss werde ich nicht wirklich warm; war so im letzten WK das letzte mal. Ich konnte glücklicherweise meine Militärzeit beenden.
O.K. der nächste 3‑Gang scheint kulinarisch sehr verlockend zu sein. Yam!
Ich jasse nicht gerne und habe auch kein Netflix (was genau ist das???). Hans fragt, wo man Menschen kennen lernen kann. Im Leben wäre natürlich eine gute Antwort. Ist leider nicht so. Wenn sich alle Verstecken? Altersheim? No Way! Bin noch nicht so weit.
Hans mag keine Aktivisten. Ok. Ich bin einer. Aus aktuellem Anlass und weil es mir langweilig ist, habe ich meine kantonalen Volksvertreter angeschrieben (exklusive SVP, weil da macht die Diskussion keinen Sinn). Felix und Kurt haben geantwortet.
In der Frühlingssession wird über „Ehe für Alle“ debattiert. Dabei geht es nicht nur um rechtliche Gleichstellung. Die Entscheidung kann die Gesellschaft verändern.
Vor wenigen Tagen konnte ich mit dem ehemaligen Justizminister Juan Fernando Lopez Aguilar von Spanien in der Regierung Zapatero sprechen. 2005 wurde unter einer sozialistischen Mehrheit die „Ehe für Alle„ gegen enormen Protest der konservativen Kreisen und der Kirchen in Spanien eingeführt.
15 Jahre später ist die Gleichstellung auch bei den Konservativen unter Rajoy vollständig akzeptiert. Gegen staatliche Gleichstellung kann auch die Kirche nichts unternehmen. Man nimmt niemandem etwas weg.
Laut psychologischen Untersuchungen verhalten sich 85 % der Schüler homophob. Für einen adoleszenten Jugendlichen ist das der blanke Horror. Die Suizidrate homosexueller Jugendlicher ist 5 x höher als bei Heteros.
Niemand wird rassistisch, anisemitisch oder homophob geboren. Das bringt man den Jugendlichen bei.
Eine Gesellschaft kann man verändern. Aber es braucht den politischen und persönlichen Willen dazu.
Vielleicht können wir die Gesellschaft verändern. Vielleicht können wir uns „normal“ in der Gesellschaft treffen? O.K. ich bevorzuge Alternativen zu Hörnli mit Ghacktem. Do we have a deal?
Herzlich Peter