Seit ein paar Monaten schwappe eine «LGBT+ Welle» über Zürich und die ganze Schweiz. Im TV würde die «Diskriminierung von Homosexuellen, Adoption bei gleichgeschlechtlichen Paaren oder Geschichten von Transgender in der Schweiz thematisiert». Das Online Magazin für Entscheider und Meinungsführer – im Web unter persoenlich.com zu finden – hat sich dem Thema angenommen.
Unter der Überschrift «LGBT+ Werbung lässt Vorurteile schrumpfen» schreibt Redaktorin Michèle Widmer, dass nun auch «Unternehmen die Community als attraktive Zielgruppe» entdeckt hätten: «Die Zürcher Kantonalbank hat einen LGBT+ Marketingfachmann engagiert, Hotelplan bietet Schwulenreisen an und Allianz Suisse plant den Aussendienst auf LGBT+ zu sensibilisieren». Dabei habe – wie auch ich schon vermutet habe – das Interesse «rein wirtschaftliche Gründe». Und dieses kommerzielle Engagement wirke sich positiv auf die Community aus. «Denn wenn Plakate», da ist sich Michèle Widmer sicher, «mit schwulen oder lesbischen Paaren, nicht nur am Zürcher Hauptbahnhof, sondern auch im Berner Oberland oder im Toggenburg hängen, dürfte das Bild von verliebten Blicken zwischen Mann und Mann oder Frau und Frau bald geläufiger werden und weniger negative Reaktionen auslösen».
Redaktorin Widmer rechnet vor: «Bei LGBT+ Paaren handelt es sich häufig um Doppelverdiener ohne Kinder». Und da Fachleute davon ausgehen, dass bis zu zehn Prozent der Erwachsenen in der Schweiz lesbisch, schwul oder bisexuell sind, könnten sich viele Unternehmen nicht mehr leisten, «sie nicht anzusprechen».
Die andere Seite
Michèle Widmer nennt in ihrem Beitrag regelmässig die Buchstaben «LGBT+». Ich vermute allerdings, dass sie höchstens die beiden ersten Buchstaben «LG» – also Lesben und Schwule meint. Denn gerade die Arbeitssituation von trans Personen ist alles andere als toll. Gemäss Angaben von Transgender Network Switzerland sind 20 Prozent der trans Personen im erwerbsfähigen Alter arbeitslos, was einer rund fünfmal höheren Quote als im landesweiten Durchschnitt entspricht.
Ob es für schwule und lesbische Menschen eine ähnliche Untersuchung gibt, ist mir nicht bekannt. Mir fällt allerdings auf, dass in meinem Bekanntenkreis überdurchschnittlich viele Schwule im Alter 50+ erwerbslos sind – und sogar bereits ausgesteuert wurden. Natürlich werden bei Sparmassnahmen zuerst alleinstehende Mitarbeitende ohne Kinder gekündigt – Unternehmer*innen denken ja sozial!
Spannend in diesem Zusammenhang eine soeben veröffentlichte Studie aus Grossbritannien. Resultat: LGBT Angestellte verdienen 16 Prozent weniger als cis Heterosexuelle. Der Vergleich der beiden Faktoren «LGBT» und «Geschlecht» ist dabei ebenfalls interessant: Der sogenannte «Gender Pay Gap» liegt in Grossbritannien bei «nur» 9,6 Prozent.
Internationale Studie haben zudem ergeben, dass schwule, lesbische und bisexuelle Menschen häufiger unter psychischen Problemen leiden. Lesben trinken mehr Alkohol und rauchen häufiger als heterosexuelle Frauen. Schwule dagegen konsumieren weniger Alkohol als heterosexuelle Männer, dafür mehr synthetische Drogen wie Ecstasy und Kokain. Warum das so ist, weiss mensch nicht. Ein Verdacht ist allerdings naheliegend: Wir Schwulen und Lesben werden diskriminiert und ausgegrenzt, wir leiden darunter und werden deshalb krank. Und tatsächlich beweisen Studien, dass es gerade bei jungen Schwulen bis zu fünfmal häufiger zu Selbstmordversuchen kommt als bei gleichaltrigen Heterosexuellen.
Pinkwashing?
Ob gegen diese Missstände im Toggenburg oder im Berner Oberland aufgehängte Werbeplakate mit glücklichen Männer- und Frauenpaaren helfen? Wäre für viele Unternehmen eine soziale Denkweise statt kommerzielle Überlegungen nicht wichtiger?