Fertig! Ich habe gerade das Buch «Mein Weg von einer weissen Frau zu einem jungen Mann mit Migrationshintergrund» von Jayrôme C. Robinet regelrecht verschlungen. Und es war nicht nur seine Geschichte, die mich packte, sondern auch sein Schreibstil, die Dringlichkeit seiner Sprache, die humorvolle Ehrlichkeit.
Nach einer Lesung in der Buchhandlung QueerBooks an der Berner Herrengasse hat mir Jayrôme in mein Exemplar seines Buches geschrieben:
Für Daniel, Humor auch als Freude wünsche ich!
Dieser Satz macht mich ein klein wenig zu einem Seelenverwandten von Jayrôme. Als cis Mensch allerdings nur ein bisschen. Auch ich verstecke mich sehr oft hinter einem bissigen Humor. Meinen Humor benutze ich selten «als Freude», sondern mehr für meinen Zynismus. Und so empfinde ich auch die Erzählung seiner Geschichte.
Nun ja, in welchem Geschlecht ich mich durch die Welt bewegen will, hat nichts damit zu tun, zu welchem Geschlecht ich mich hingezogen fühle. Genaus so könnte man fragen: Fährst du lieber mit Zug oder nach Barcelono? Antwort: Egal, Hauptsache Italien!
Mir haben schon ein paar trans Menschen ihre Geschichten erzählt – im privaten Rahmen, aber auch in meinen Sendungen im GAYRADIO. Scherzhaft wurde ich von einem meiner trans Freunde sogar als „trans ehrenhalber“ bezeichnet. Aber die Deutlichkeit, wie Jayrôme beschreibt, wie er als «weisse Frau» wahrgenommen wurde, wie er als «junger Mann mit Migrationshintergrund» wahrgenommen wird und wie er als «Mann im Anzug» wahrgenommen wird, hat mich doch sehr berührt.
Als ich mich nach einer Bedienung umschaue, bemerke ich, dass das grosse Fenster neben der Tür mit einem Stein beworfen wurde. Genau in der Mitte ist die Scheibe zersprungen. Irgendwie sieht das schön aus, ein durchsichtiges, in der Luft hängendes Puzzle, das durch die Sonne zum glitzern gebracht wird. Während ich das bewundere, nähert sich die Teestuben-Besitzerin. Sie mustert mich einen Augenblick, dass frage sie: Na, guckst du dir dein Werk an?
Caroline Emcke schreibt über das Buch: «Wer wirklich verstehen will, wie kompliziert, schmerzhaft und beglückend der Weg der Transition sein kann, muss die Geschichte von Jayrôme C. Robinet lesen». Meine Gedanken kreisen zurück zum Kapitel wo Jayrôme die Kontrolle bei der geplanten Einreise nach Ägypten beschreibt …
Ich ziehe meine Jeans und meine Boxershirts herunter … Als sie fertig sind, verlassen sie den Raum. Für ein paar Minuten stehe ich allein im verwüsteten Zimmer. Dann kommen sie zurück. Die Uniform sagt, dass mir die Einreise verweigert wird.
Wie hat eine Frau zu sein? Wann ist ein Mann ein Mann? Warum unterscheiden wir Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe? Warum machen Kleider Leute? Warum bestimmen äusserliche Geschlechtsmerkmale das Geschlecht eines Menschen? Warum können Menschen nicht in jedem Fall über sich und ihre Körper bestimmen? Warum müssen Menschen immer irgendwie und irgendwo «zugeordnet» werden?
Es gibt Dinge, die so sind, wie sie sind, und so, wie sie sind, einfach so, sein dürfen sollen. Ohne Erklärung. Wie in Mathe: Wieso ist 1+1 gleich 2?
Dass 1+1 eben nicht immer 2 gibt, hat mich nicht die Schule gelehrt – sondern das Leben und Bücher wie das eben fertig gelesene!
Und in Mathe war ich immer schlecht. Zum Glück!