Da erscheint doch im Display, dem Schweizer Gay-Magazin, ein Stelleninserat: Gesucht wird ein Assistent für die Buchhaltung, der zielstrebig und pflichtbewusst sein sollte – und ein ganz normaler Gay – aber keine Tunte. Fast gleichzeitig befürchtet der römisch-katholische Theologe David Berger (Der heilige Schein) auf gaystream.info unter dem Titel «Kastrierte Möpse» das Aussterben der Homosexualität. Ich bin irritiert …
David Berger stellt in seinem Artikel folgende These auf: Im Hinblick auf die Gender-Ideologie werde Schwulsein unmöglich – «gay» verschwinde zugunsten von «queer»:
Als ich im Laufe der Pubertät mein Schwulsein entdeckte, löste dies kein Nachdenken über mein Mannsein aus. Die Vorstellung schwul zu sein, fand ich toll und gleichzeitig war mir bewusst, dass ich schwul nur als Junge bzw. Mann sein konnte. Und die klassischen Männlichkeitsattribute zogen mich an: Tiefe Stimme, ein athletischer oder muskulöser Körper.
David Berger mit Jahrgang 1968 musste dann allerdings «plötzlich» feststellen, dass «die Tunte» zum politischen Idealbild des schwulen Mannes wurde:
Wer nicht mitmachte, galt als «straigh-acting», was ihm zwar massenhaft Sexanfragen einbrachte, aber eben politisch nicht mehr korrekt war.
Aus «schwulen Löwen», die über Jahre erfolgreich für ihre Gleichberechtigung gekämpft hätten, seien «in der Theorie kastrierte Möpse» geworden, die sich «brav auf dem Schoss von Genderprofessorinnen» niedergelassen haben»!
Ich mit Jahrgang 1961 hatte mein Coming-out erst spät, mit knapp über 30 geschafft. Mir wurde von meinem (heterosexuellen) Umfeld ständig vermittelt, dass Schwule keine richtigen Männer seien, Weicheier eben. Und ich war immer ein dickliches Weichei mit Brille, das ich gar nicht sein wollte, da ich doch der männlichen Rolle zugedacht war. Auch die Rekrutenschule schaffte es nicht, aus mir einen richtigen Mann zu machen – ich fand noch immer einen Theaterbesuch oder ein Buch bedeutend spannender als Sport. Erst als ich meine weiche Seite (meine weibliche Seite?) zulassen konnte, schaffte ich auch mein Coming-out! Ich war endlich der, der ich wirklich war: eine Schwuchtel eben, die sich von Männern angezogen fühlt …
Ich bin stolz darüber, dass ich einer bunten Community angehöre. Und dazu gehören u.a. auch Menschen, die sich wegen gesellschaftlichen Zwängen verstecken müssen und mussten; aber auch Jugendliche, die noch immer wegen ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Geschlechtsidentität an Selbstmord denken.
Mich stört, dass schwule Theologen ihren Job verlieren, das ist ein gesellschaftliches Problem. Mich stören aber Schwule, die tagelang im Fitnessclub Muskeln trainieren, nicht. Ich muss ja nicht mitmachen – ist ihr persönliches Ding. Ob diese Einsicht von meiner «reformierten» Erziehung kommt? Und im Religionsunterricht hatte ich aufgeschnappt, dass ich meinen Nächsten so lieben soll, wie mich selbst. Auch schlau und sinnvoll! Ich halte mich allerdings eher daran, dass ich mich möglichst von wenig Normen beeinflussen lassen will – was aber wiederum nicht immer gelingt.
Noch ein Randbemerkung im einleitenden Text:
Für das verunglückte Inserat im Display mache ich nicht die Redaktion des Magazins verantwortlich, sondern den Inserenten mit seinem lausig gestalteten Inserat (Buchhaltung hat zwei HH). Ich bin der Display-Redaktion dankbar für die eine Million wohlwollenden und kämpferischen Worte in den letzten 35 Jahren zugunsten unserer Community!